Grenzenlos Ein kultureller Blick nach Fürth Kurz nach der Stadtgrenze von Nürnberg kommend, die Kurgartenstra- ße entlang und dann in die Lange Straße eingebogen, trifft der mutige Nürnberger nach ungefähr 100m auf der rechten Seite auf ein archaisch anmutendes Gebäude. Vor dem Besucher erhebt sich imposant unver- fälschte Industriekultur: die Kofferfabrik, benannt nach dem letzten pro- duzierenden Nutzer, der BERMAS Kofferfabrik. Vor dieser Zeit beherbergte das Gebäude eine weltweit bekannte Spiegelmanufaktur, die Vereinigte Spiegelfabriken AG. Heute herrscht ein sympathischer Mann in den 60ern mit langen, wallenden, grauen Haaren über die nun alternativ-kulturell genutzten Räume. Der Freigeist und Meister der Subkultur heißt Udo Mar- tin, ist gelernter Kaufmann, Wirt aus Leidenschaft, Rock-, Blues-, Jazz- und Kulturfan aus Überzeugung. Überzeugend auch sein Unterhaltungsan- gebot, das im KofferMusicClub und dem Theater seine Heimstätte findet. Im obersten Stock des ehemaligen Fabrikgebäudes herrscht eine intime, kultige Wohlfühlatmosphäre. Wo früher Spiegel gefertigt wurden, geben sich heute Größen wie Billy Cobham, Al di Meola, Ray Wilson (Genesis), Louisiana Red, Steve Gibbons, Brian Auger und viele andere Künstler auf der Bühne die Klinke in die Hand, um vor maximal 160 Zuhörern ihr Kön- nen zu beweisen. Brian Auger meinte, als er das erste Mal den Club betrat: “Oh, it’s like a time machine here,” und sagt damit nahezu alles. Wer hier einmal einen Abend miterlebt hat, der will, ob Künstler oder Besucher, meist immer wieder kommen. Theater wird in der „Koffer“, wie die Kof- ferfabrik von ihren Fans liebevoll genannt wird, auch gespielt. Alles von Niveau erhält hier eine Chance zum Auftritt. Das Improtheater ‚6 auf Kraut‘ und die Döring‘sche Theaterwerkstatt fanden in diesen Räumen ihre Hei- mat. Kofferfabrik Im Couchclub darf man sich wie zu Hause fühlen, hinlümmeln, Bücher lesen, sich unterhalten, kickern und billarden. Gut Essen und Trinken ge- hören für Udo Martin gleichfalls zum Wohlfühlszenario. „Wir achten auf Nachhaltigkeit und Qualität. Unser Bier kommt aus Weissenohe, die Wei- ne sind handverlesen und die Tees aus dem Fürther Eine-Welt-Laden. Wir wollen genießen, dies aber immer mit einem guten Gewissen, egal ob tra- ditionell mit oder ohne Fleisch“, beschreibt uns Herr Martin seine kulina- rische Intention. Konsequenterweise macht man deshalb beim Angebot für Vegetarier und Veganer keine halben Sachen und bietet diesbezüglich leckere Alternativen an. Das Sommerjuwel der Kofferfabrik stellt ohne Zweifel der von altem Ge- mäuer umrahmte Hof-Biergarten dar, Kofferfabrikhof genannt. Die Loca- tion versprüht ein ureigenes, faszinierendes Alternativflair. Dreimal wäh- rend der Sommersaison gibt es dort beim Hoffest musikalisch eins auf die Ohren. In der übrigen Zeit ist Grillen, Poetryslamming, Theater oder schlicht und einfach Chillen angesagt. Im August feiert die „Koffer“ ihr 25jähriges Jubiläum, und ihr Chef steckt voller Ideen. Welche davon dann umgesetzt werden, will er noch nicht verraten. Schließlich sollen die Besucher sich wie immer freudig über- rascht zeigen. Daß umfangreiche Exponate zur Geschichte des Gebäudes und dessen früherer Nutzung ausgestellt werden, ist sicher. „Eines wird die Kofferfabrik, solange sie unter meiner Regie geführt wird, immer sein: ein Ort der Begegnung für jeden toleranten und weltoffenen Menschen, egal welcher sozialer und ethnischer Herkunft er ist,“ bekräftigt Herr Mar- tin und fügt entschlossen hinzu: “Hass und Intoleranz jedweder Couleur fanden bei uns noch nie einen Platz und werden diesen auch nie finden“. Da überlassen wir das Schlußstatement gerne Neil Young mit „Keep on rocking in a free world“. n o i t k a d e R e i D : t x e T 35